Jürgen KnopDas Ende der sechziger Jahre brachte nicht nur massive gesellschaftliche Umwälzungen (die „68er“), es gab auch einschneidende Veränderungen und Neuerungen bei der Knabenkapelle.
Die Gründergeneration zog sich zurück:
Ende 1966 trat zunächst Willi Einschütz vom Amt des Dirigenten zurück. Auch wenn es kein Abschied für immer sein sollte, so war es doch ein schwerer Schlag für den Verein, und in der Presse machte schon das Wort „Krise“ die Runde. Aber schon bald fand man in Jürgen Knop, der damals als Dirigent der Stadtmusik und Kurmusiker in St. Blasien tätig war, einen neuen „Schwengelmeister“ (Zitat Badische Zeitung).
Nur wenige Monate später, im März 1967, gab auch das Gründungsmitglied Willi Puhlmann im Alter von 77 Jahren sein Amt als erster Vorstand ab und wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Er zog sich damit aber keineswegs vom Verein zurück, sondern war noch etliche Jahre als Ausbilder für den Holzbläser-Nachwuchs tätig. Das war auch sehr nötig, denn auch die aktiven „Urgesteine“ wurden immer weniger. Beim zehnjährigen Jubiläum war die Kapelle von einstmals 40 auf 22 Aktive geschrumpft, und es konnten gerade einmal zwei Spieler für zehnjährige Mitgliedschaft geehrt werden: Rainer Bürk und Heribert Hofgärtner.
Neuer erster Vorsitzender wurde Hermann Brugger, und das war der Beginn einer 18 Jahre andauernden Ära. Unterstützt vom unvergessenen Werner Neiss und vielen uneigennützigen Helfern brachte er viele Dinge auf den Weg, die bis heute nachwirken:
1969 wurden mit (v.l.) Angelika Hofgärtner, Sonja Urbanczyk und Angelika Brugger die ersten Mädchen aufgenommen. Ob das nun eine Folge des „68er“-Umsturzes oder einfach eine clevere Reaktion auf den Nachwuchsmangel war, sei dahingestellt. Auf jeden Fall haben die drei Mädels voll eingeschlagen – und das nicht nur musikalisch (zwei der drei haben sich einen der „Knaben“ als Ehemann geangelt, aber das gehört eigentlich eher in die Rubrik Zeltlager). Auf jeden Fall konnte sich der Verein nun zu Recht „Jugendkapelle“ nennen.
1970 wurde dann die Idee geboren, Altmaterial, insbesondere Altpapier, zu sammeln, um Instrumente und Uniformen finanzieren zu können. Teilweise musste das Altpapier monatelang zwischengelagert werden (z.B. im alten Ochsenstall), weil nicht immer Abnehmer zu finden waren. Dennoch wurden die Sammlungen – in guten wie in schlechten Zeiten – all die Jahre durchgeführt, und der Erlös daraus ist bis heute ein wichtiger Bestandteil für die Instrumentenbeschaffung.
Die Anschaffung von Trachten im Jahr 1972 war ein weiterer finanzieller und arbeitsaufwändiger Kraftakt, dessen Erfolg bis heute sichtbar ist. Insbesondere die Mädchentrachten wurden von freiwilligen Helferinnen aus der Vorstandschaft und dem Freundeskreis der Jugendkapelle in monatelanger Arbeit eigenhändig genäht.
Und schließlich musste man sich auch noch nach einem neuen Probenraum umsehen. Bereits in den 60er Jahren hatte man die Proben in den katholischen Pfarrsaal verlegt. Dort wurden auch die traditionellen Osterkonzerte gegeben. Mit dem Abriss des Pfarrsaals und Neubau des Theophil-Lamy Hauses konnte man 1975 in das erste eigene Probenlokal umziehen. Dazu hatte man das ehemalige Volksbad im Untergeschoss der alten Grundschule in monatelanger Eigenarbeit ausgebaut.
Neben all den organisatorischen Veränderungen und zahlreichen Arbeitseinsätzen wurde natürlich auch noch Musik gemacht, und es begann die Zeit der großen Reisen.
Unvergessen bis heute ist bei vielen Teilnehmern die Teilnahme am Internationalen Feuerwehrtreffen mit Feuerwehr-Olympiade in Jugoslawien im Sommer 1966. Nach großer Verabschiedung vor dem Dom – mit Reisesegen durch Dekan Schuh – ging es per Bus auf die beschwerliche 10-tägige Reise. Höhepunkt war sicherlich der Auftritt vor Marschall Tito im Sportstadion, wo die Kapelle als offizielle Vertretung Deutschlands spielte. Die Spieler wurden eigens für diese Reise mit Feuerwehruniformen ausgestattet, und auch danach gab es noch mehrere gemeinsame Ausflüge und Auftritte mit der Feuerwehr St. Blasien.
Im Jahr 1967 war die Knabenkapelle zusammen mit der Jugendfeuerwehr und einer Abordnung der Feuerwehr St. Blasien in Hard am Bodensee um die 90 Jahrfeier der Ortsfeuerwehr Hard zu umrahmen. Auf dieser Fahrt an den Bodensee wurde noch in Kreßbronn halt gemacht wo dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger ein Ständchen gespielt wurde. Und traditionell marschierte die Kapelle nach Rückkehr von ihren Reisen mit Musik durch St. Blasien, um zu zeigen, dass alle wieder gesund zurück sind.
Ein Highlight unter den Auftritten mit Jürgen Knop war die Konzertreise in die französische Partnerschaftsstadt Fontenay-le-Fleury bei Paris im Juni 1968, wo man fünf herrliche Tage verbrachte und unter anderem den Sonntagsgottesdienst umrahmte. Und woran sich bis heute noch viele Teilnehmer erinnern: Nach drei Tagen konnte die Bevölkerung die Kult-Märsche wie „Alamo“ und „Monterey“ schon nach den ersten Takten mitpfeifen. Der Gegenbesuch im Mai 1970 in St. Blasien war dann aber leider der letzte Kontakt mit Fontenay.
Dafür begann 1970 die große Zeit der Zeltlager. Zunächst wurden die Zelte drei Jahre lang für bis zu zwei Wochen in Bad Neuenahr/Ahrweiler aufgeschlagen, und zwar jeweils zur Zeit des Winzerfestes. Großartige Auftritte fanden dort statt, z.B. bei der Eröffnung des Winzerfests oder als Umzugsbegleitung für die Weinkönigin. Absoluter Höhepunkt war wohl das Jahr 1972, wo zwei Konzerte im Kurpark von Bad Neuenahr 1500 und 2000 Zuschauer anlockten und beim damaligen Bundespräsidenten Heinemann ein Ständchen gespielt wurde.
Weitere Zeltlager fanden mehrmals in Oberreitnau am Bodensee und in St. Blaise statt, die Anzahl der Auftritte wurde dabei aber deutlich reduziert. Überhaupt waren die Jahre 1971 und 1972 die wohl intensivsten in der Geschichte der Jugendkapelle, was die Anzahl der musikalischen Termine betrifft. Im Jahr 1972 fanden z.B. neben den Proben 53 Auftritte statt, davon allein 8 im Monat Juni. Besonders die neu angeschafften Trachten sorgten dafür, dass immer noch mehr Einladungen an die Kapelle ausgesprochen wurden (und dabei hassten wir Jugendlichen damals die Trachten, und wir artikulierten unseren Protest, indem wir Holz-Clocks mit Plateau-Sohlen zur Tracht trugen).
Wohl auch aufgrund dieser hohen zeitlichen Belastung. beendete Jürgen Knop im Anschluss an das zweite Zeltlager im September 1971 seine Dirigententätigkeit bei der Jugendkapelle. Und wieder gelang es sofort, mit Paul Poteczin, der damals als Lehrer in St. Blasien tätig war, die Lücke eindrucksvoll zu schliessen. Mit ihm wurde das Repertoire der Jugendkapelle nochmals deutlich moderner, er brachte richtig „Zug“ in den Verein. Leider wurde er bereits ein Jahr später an eine andere Schule versetzt und musste so seine Tätigkeit als Dirigent im Sommer 1972 schon früh wieder beenden.
Die Vorstandschaft ließ sich dadurch jedoch nicht beirren und hatte schon den nächsten Coup vorbereitet: Der Gründer der Knaben- und Jugendkapelle, Willi Einschütz, kehrte zurück, und ihm zur Seite stand als Vizedirigent und Ausbilder Werner Schönwolf, der als Lehrer nach St. Blasien gekommen war.
In diese Zeit fällt auch die Gründung von zwei Gruppierungen, die bis heute bestehen: Zunächst probten acht ältere Spieler der Jugendkapelle gemeinsam, um dann an Fasnacht 1971 erstmals als „Bötzberg-Musikanten“ unter dem Dach der Jugendkapelle aufzutreten. Ende 1972 machten sie sich selbstständig, um später als „Bötzberg-Tanzorchester“ unter der Leitung von Werner Schönwolf für Furore zu sorgen. Bis heute treten sie mit wechselnder Besetzung und musikalischer Ausrichtung auf, und zwei Gründungsmitglieder sind heute noch mit dabei: Rolf Schmid und Manfred Flügel. Werner Schönwolf war es auch, der ab 1973 ebenfalls ältere Spieler der Jugendkapelle und auch der Stadtmusik um sich scharte und mit Ihnen jeweils am Fasnachtsdienstag mit Schunkelliedern und dem legendären „Samba Rolf“ spielend (und trinkend) durch die Bläsmer Lokale zog und anschließend die Hexenverbrennung musikalisch bereicherte. Aus dieser namenlosen Gruppe ist im Laufe der Jahre die Guggenmusik „Neonröhrer (1973 e.V.)“ entstanden.
In den Jahren 1973 bis 1976 gab es noch einen weiteren Kontakt mit Frankreich. Die jüngste Folklore-Gruppe Frankreichs, „Les petits chardons“ aus Plombières les Bains, war dreimal zu Gast in St. Blasien, und im Gegenzug war auch die Jugendkapelle dreimal in Plombieres. Dort mussten die jungen St. Blasier erst einmal lernen, dass es ganz schlecht ist, sich bei den ersten zwei Gängen satt zu essen, wenn noch fünf weitere folgen sollten. Und auch die Benutzung der als Toiletten bezeichneten Löcher im Boden war vielen ziemlich suspekt.
1977 und 1978 war dann zweimal die hessische Heimat der beiden Dirigenten Einschütz (Langenselbold) und Schönwolf (Darmstadt) Ziel der Jugendkapelle. Dort spielte man u.a. beim traditionellen Heinerfest und im Fußballstadion des SV Darmstadt. Übernachtet wurde in großen Schlafräumen. Das führte natürlich dazu, dass mancherlei Unfug getrieben wurde. So wurde ein Liegestuhl mitsamt dem darauf liegenden Willi Einschütz per Seil zum Einsturz gebracht. Der Initiator dieses „Unfalls“ musste zur Strafe die Nacht im Zimmer von Frau Neiss und Frau Brugger verbringen. Und auch in Hessen musste man sich erst an die kulinarischen Besonderheiten gewöhnen. Die lokale Spezialität „Handkäs mit Musik“ in Verbindung mit Äppelwoi sorgte dafür, dass unser Schlagzeuger bei einem Konzert mehrmals mitten im Stück das Weite suchte (er musste sich allerdings nicht mit einem Plumpsklo begnügen).
Viele weitere Aktivitäten fanden in diesen Jahren statt, auf die wir hier leider nicht genauer eingehen können, einige seien jedoch in Kurzform aufgeführt:
1970 Radioaufnahmen mit dem Südwestfunk
1971 Fasnacht erstmals im Mexikaner-Kostüm (bestand hauptsächlich aus alten Vorhängen)
1972 Kaufhauseröffnung in Kempten (Anreise ein Tag zu früh, dadurch musste für alle eine Übernachtung organisiert werden
1973 Bezirksmusikfest in St. Blasien, erster gemeinsamer Auftritt mit der Stadtmusik seit Gründung der Jugendkapelle
1974 Wertungsspiel in Säckingen: 1. Rang mit Auszeichnung in der Unterstufe
Internationales Jugendkapellentreffen in Löffingen mit grandiosem Auftritt
Empfang des Fußballweltmeisters Brasilien in St. Blasien
Honentwielfest in Singen Wohltätigkeitskonzert für den Neubau des Kindergartens
1975 Bundesgartenschau in Mannheim Pfälzisch-alemannisches Trachtentreffen in Karlsruhe
1976 Eröffnung des Rotho-Neubaus
Bundesverdienstkreuz für Willi Einschütz